Heimkehr der Wilden

Die erstaunliche Wiederbesiedlung durch Großsäuger

von Caroline Hübenbecker

Vom Übungsplatz zur Naturoase

Auf einer Fläche von 5.000 Fußballfeldern wechseln sich in Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide unter anderem lichte Eichenwälder, Niedermoore, Dünen mit offenen Sandflächen und trockenen Heiden ab.

In all diesen Lebensräumen finden viele geschützte Tierarten ein Zuhause. Rotbauchunken, Seeadler und sogar Urzeitkrebse kommen hier vor.

Geprägt durch die Vergangenheit

Verschlissene Bunker, die einsam aus dem Boden ragen, zeugen aus einer Zeit, als die Döberitzer Heide noch militärischer Übungsplatz war.

Sie erinnern an Explosionen, Waldbrände und umherfahrenden Panzer, die eine Offenlandschaft erschufen, die vielen spezialisierten Tier- und Pflanzenarten als wertvoller Lebensraum dient.

Wettlauf gegen den Wildwuchs

Seit in der Döberitzer Heide keine Panzer mehr fahren, breiten sich Ginster, Robinie und andere Gehölze schnell aus und drohen das Offenland zuzuwuchern. Dagegen unternimmt die Stiftung regelmäßig viel Aufwand, um zehntausende Büsche samt Wurzeln zu entfernen und offene Flächen zu erhalten.

Neben Maschinen werden auch Schafe, Ziegen, Pferde und Galloway-Rinder eingesetzt, um den ungehinderten Pflanzenwuchs einzudämmen. Ganz besonders helfen dabei die großen Pflanzenfresser, die sich hier bereits vor Jahrhunderten durch die Landschaft fraßen und sie so stellenweise offenhielten.

Einzigartiges Wildtierprojekt

Darum begann die Heinz Sielmann Stiftung 2008 hier ein deutschlandweit einzigartiges Wildtierprojekt: Wisente, Przewalski-Pferde und Rothirsche wurden in eine riesige Kernzone eingebracht, um hier unter nahezu natürlichen Bedingungen und im Einklang mit der Natur leben zu können.

Futter ist für die gefräßigen Großtiere ausreichend in der Natur vorhanden: Gräser, Kräuter, Laub, frische Äste und Rinde, die in großen Streifen von den Bäumen geschält wird. Eigens gebaute Brunnen versorgen die Tiere in der sonst eher trockenen Landschaft mit Wasser.

Europäisches Erhaltungszuchtprogramm

Durch den Menschen waren Przewalski-Pferde Ende der 1960er Jahre in der Natur ausgerottet. Aus Zoobeständen konnten in den 90er Jahren wieder einige kleine Herden angesiedelt werden.

Um die vom Aussterben bedrohten Wildpferde zu erhalten, hat sich die Heinz Sielmann Stiftung dem Europäischen Erhaltungszuchtprogramm angeschlossen. Sie steuert geeignete Tiere aus ihren Landschaften für den Erhalt der Population in der Mongolei bei.

Wildnis hautnah erleben

Wegen des Munitionsverdachts und Altlasten aus vormilitärischer Nutzung dürfen Besuchende die Döberitzer Heide nur auf ausgewiesenen Waldwegen betreten. Einer dieser Wege führt zum Pavillon in der „Wüste“, wo man mit etwas Glück eines der aktuell 130 Wisente oder 23 Przewalski-Pferde sehen kann.

Hier grenzt der etwa 2.000 Hektar große, weitläufig umfriedete Kernbereich der Döberitzer Heide an, in dem die Großsäuger leben. Wer einmal einen Wisent – oder gar eine ganze Herde – live in der Natur erblickt hat, wird sich wohl mit Begeisterung daran erinnern.

Spektakel während der Brunft

Auch die Rothirsche lassen sich von hier aus gut beobachten. Besonders eindrucksvoll ist das Spektakel während der Brunftzeit, wenn sich die Hirsche mit ihren gewaltigen Geweihen und lautstarkem Röhren gegenseitig imponieren.

Helfer für die Artenvielfalt

Die Großsäuger erhalten nicht nur das Offenland, sie fördern auch die Artenvielfalt in ihrer Umgebung: Von der niedrig gefressenen Vegetation profitieren Heuschrecken, die Heidekraut-Sandbiene und andere wärmeliebende Arten.

Offene Stellen am Boden, in denen sie sich gewälzt oder in denen sie mit ihren Hufen gekratzt haben, sind perfekter Lebensraum für Bienen-, Hummel- und Käferarten.

Heiliger Mist!

Da die Tiere hier – anders als konventionelle Nutztiere – keine Medikamente erhalten, ist selbst ihr Kot ein wahres Eldorado. 35 verschiedene Dungkäferarten wie der Frühlingsmistkäfer oder der Stierkäfer leben in und von den Hinterlassenschaften der großen Pflanzenfresser.

Und auch Pilze leben von dem Kot der Tiere: Erst 2021 wiesen Forscher auf dem Dung eines Przewalski-Pferds eine lang verschollene Schlauchpilzart nach. Es handelt sich um die Punktierte Porenscheibe(Poronia punctata), die zuletzt 1843, also vor mehr als 170 Jahren, in Brandenburg gefunden wurde.

Faszinierende Vogelwelt

Die vielen Insekten und das Offenland ziehen ihrerseits spezialisierte Vögel wie Wiedehopf, Neuntöter, Steinschmätzer, Heidelerche und Ziegenmelker an. Solche Spezialisten, die deutschlandweit selten sind, kommen aufgrund der Lebensbedingungen in der Döberitzer Heide in großen Beständen vor.

Wolfsrudel

Seit einigen Jahren ist auch ein Wolfsrudel in der Heidelandschaft heimisch. Normalerweise sind Territorien der Raubtiere rund 25.000 Hektar groß. Offenbar kommt die Döberitzer Heide mit ihrer Arten- und Strukturvielfalt einem perfekten Lebensraum schon recht nah, wenngleich es ihr an Größe fehlt.

Bislang wurden hier insgesamt rund 6.600 verschiedene Tier-, Pilz- und Pflanzenarten, darunter auch diese Rote Röhrenspinne, nachgewiesen. Eine beträchtliche Zahl, die das Gebiet zu einem herausragenden Hotspot der Artenvielfalt in Deutschland macht...

Wer einmal die wilde Natur hier geschnuppert hat, den zieht es immer wieder hierher zurück.

Über den Autor

Caroline Hübenbecker
Caroline Hübenbecker ist bei der Heinz Sielmann Stiftung Referentin für Web- & Community-Management.

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