Leben nach der Kohle
Naturschutz in Bergbaufolgelandschaften
von Nora Künkler
Leben nach der Kohle
Naturschutz in Bergbaufolgelandschaften
von Nora Künkler
"Gott schuf die Lausitz, der Teufel schob die Kohle darunter"
Altes sorbisches Sprichwort
Ödnis oder Paradies?
Nach dem Ende des Tagebaus war die Landschaft in der Niederlausitz eine ausgeräumte Industriebrache, das Erdreich zerfurcht von den Schaufeln der Braunkohlebagger. Die Restlöcher mussten aufwendig saniert werden. Viele Ehrenamtliche setzten sich damals für den Naturschutz in der Region ein.
Perspektiven für die Region
Die Flächen sollten verkauft werden. Die Menschen vor Ort überlegten, wie man die Landschaft im Sinne des Naturschutzes sichern könnte. Im Jahr 1999 besuchten Inge und Heinz Sielmann Brandenburg und beratschlagten, ob ihre Stiftung die Flächen erwerben könne.
Nie zuvor hatte eine private Stiftung so viel Fläche in der Bergbaufolgelandschaft erworben. Heinz Sielmann war skeptisch.
Das Machtwort
Inge Sielmann überzeugte ihren Mann schließlich. Gemeinsam standen sie in der Abendsonne an der Abbruchkante der Schlabendorfer Grube, als sie feststellte:
„Heinz, hier werden wir tätig.“
Ein Jahr später erwarb die Stiftung die ersten 722 Hektar.
Das Innerste nach außen gekehrt
Die Bagger holten nicht nur Kohle sondern auch uralten Sand aus der Tiefe nach oben. Die riesigen Abraumhalden bedecken heute die Oberfläche. Sie bieten kaum Nährstoffe und wenig Halt. Die Naturgewalten haben so leichtes Spiel. Die Sonne heizt den Boden auf, der sich in der Nacht stark abkühlt.
Der Wind pfeift darüber hinweg. Leben spendendes Wasser versickert schnell oder verdunstet. Hier können nur wahre Überlebenskünstler Wurzeln schlagen.
Eine zweite Chance für die Natur
Wo einst die gigantischen Braunkohlebagger die Erde nach Bodenschätzen durchwühlten, entsteht eine neue Wildnis. Die scheinbar tote Wüste, die die Bagger hinterließen, ist voller Leben.
Hier buddeln heute andere
Kreiselwespen graben Niströhren in den losen Sand. Der Ameisenlöwe legt kunstvolle Trichter an, die sich für seine Beutetiere als tödliche Falle erweisen. Viele weitere Tiere, die in der intensiv genutzten Landschaft kaum noch Lebensraum finden, haben die Bergbaufolgelandschaft für sich entdeckt.
Lebenselixier Wasser
Für den Braunkohletagebau mussten große Flächen zunächst trocken gelegt werden. Aufwändig wurde das Grundwasser abgesenkt und aus den Gruben gepumpt. Mit dem Ende des Kohletagebaus kehrte auch das Wasser zurück und mit ihm das Leben. Das Wasser gestaltet die Sandlandschaften.
Regen oder anstehendes Grundwasser füllt Bodensenken auf. Doch diese flachen Tümpel können schnell wieder austrocken. Daher kommen hier keine Fische vor. Das sind ideale Bedingungen für sich schnell entwickelnde Amphibien, wie diese Knoblauchkröte (Pelobates fuscus), und Libellen.
Deren Eier und Larven sind sicher vor räuberischen Fischen. Die Tümpel sind wichtige Trittsteine zwischen den Lebensräumen und fördern die Besiedlung der Landschaft.
Auch dieser Flussregenpfeifer (Charadrius dubius) findet hier einen Ersatzlebensraum. Die sandigen Böden und flachen Tümpel sind für ihn ideal. Seine Eier sind perfekt getarnt und im Wasser tummeln sich proteinreiche Insekten.
Ständig im Wandel
Derzeit sind die wenigsten Flächen im Bereich Wanninchen betretungssicher im Sinne des Bergrechts. Unvorhersehbare Grundbrüche, Bodensenkungen und Geländerutschungen initiiren dynamische Prozesse, die das Landschaftsbild maßgeblich verändern.
Betreten verboten
Die Sperrung der Gebiete hat direkte Auswirkungen auf die Umsetzung von Naturschutzzielen. Von der Ruhe profitieren viele Arten: der Wolf, der seit 2013 ein festes Revier bewohnt, Rot- und Schwarzwild, da keine Jagd erfolgt, sowie die Kraniche in ihren Schlafplätzen.
In diesem Zusammenhang werden neue Sanierungskonzepte diskutiert, welche einen stärkeren Fokus auf die Entwicklung von großflächigen Naturentwicklungsgebieten in der Bergbaufolgelandschaft legen.
Diese können einerseits den Sanierungsaufwand und die damit verbundenen Kosten minimieren, andererseits langfristig naturschutzfachlich hochwertige Lebensräume entstehen lassen.
Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen
Aus den 722 Hektar aus dem Jahr 2000 ist eine mittlerweile über 3.300 Hektar große Naturlandschaft geworden. Die Heinz Sielmann Stiftung kaufte in den letzten 20 Jahren weitere Flächen hinzu. Das letzte Haus des Ortes Wanninchen ist heute ein Natur-Erlebniszentrum.
Der naturtouristische Wert der Region ist gestiegen, denn konkrete Naturschutzziele wurden in der Sanierungsplanung verankert. Naturschutz, Wildnisentwicklung, Umweltbildung und Naturtourismus gehen Hand in Hand mit der touristischen Entwicklung und der bergrechtlichen Sanierung des Gebiets.
Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen ist heute ein Vorzeigeprojekt des Naturschutzes. Es ist eine wahrgewordene Zukunftsvision für die Bergbaufolgelandschaften für Mensch und Natur.
Flächenkauf möglich machen
Die Erfolgsgeschichte in Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen zeigt: Der Kauf von Flächen ist eines der besten Mittel, um dem Verlust der Artenvielfalt entgegenzuwirken. Denn diese Flächen können langfristig im Sinne des Naturschutzes entwickelt werden.
Über den Autor
Nora Künkler
Nora Künkler ist studierte Biologin und arbeitete bis März 2023 als Pressesprecherin bei der Heinz Sielmann Stiftung.
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