Kaum noch fressbares Grün an Bäumen und Sträuchern, auch Blüten für bestäubende Insekten sind jetzt Mangelware, dafür herrscht frostige Kälte und es gibt wenig Sonnenlicht. „Der Winter ist für die meisten Tiere und Pflanzen eine Zeit voller Herausforderungen“, sagt Dr. Hannes Petrischak, Leiter des Geschäftsbereichs Sielmanns Naturlandschaften und Naturerlebnis bei der Heinz Sielmann Stiftung. Kein Wunder, dass sich viele Tiere in dieser Saison verkriechen – oder sie in ihrem Leben sogar ganz überspringen. Einige Arten wiederum ziehen jetzt erst recht aus noch kälteren Regionen in unsere Gefilde. Und für manche ist ein kalter Winter sogar überlebenswichtig.
Heimelige Plätzchen
Wenn es kalt wird, zimmert sich die Weinbergschnecke (Helix pomatia) eine Tür für ihr Haus. Seit Tagen hat sie da schon weniger gefressen und immer mehr geruht. Anschließend hat sie sich in den Boden eingegraben, wo sie aus Drüsen am Eingang ihres Schneckenhauses ein sogenanntes „Epiphragma“ aus Kalk bildet. „Der Deckel ist jedoch kein Kälteschutz“, sagt Petrischak, „er schützt vor dem Austrocknen.“ Denn zuvor hat die Schnecke bereits möglichst viel Wasser abgegeben: Es würde bei Frost Eiskristalle bilden, die ihre Körperzellen zerreißen. Erst im Frühjahr erwacht sie aus ihrer Kältestarre, dann wird der Deckel wieder abgestoßen.
Ebenfalls ins Haus drängen unter anderem Marienkäfer (Coccinella sp., Harmonia axyridis) – allerdings suchen sie dafür gerne menschengemachte Gebäude auf. Vor allem Siebenpunkt- und Asiatischer Marienkäfer sammeln sich häufig als Trupp, um Ritzen in Fassaden, Fensterrahmen oder Balkongeländern zu besetzen. Hier verharren sie zu Dutzenden reglos, bis es wieder wärmer wird – und werden dabei nicht selten fälschlicherweise für tot gehalten. Fehlt solche menschengemachte Unterstützung, richten sie sich zum Beispiel in Laubhaufen oder unter Steinen ein. „Viele Tiere, die ihre Körpertemperatur nicht regulieren können, sind auf solche frostgeschützten Orte angewiesen“, sagt Petrischak.
Chemische Hilfsstoffe
Den Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni) kann man selbst bei strengem Frost noch neben glitzernden Schneekristallen auf einem Zweig hocken sehen. Das verdankt er dem Frostschutzmittel Glyzerin, das er in seine Körperzellen einlagert. „Schmetterlinge brauchen die Kälte des Winters, weil die für sie gefährliche parasitäre Pilze abtötet“, sagt Petrischak. Ist ein Winter zu mild, können Puppen, Raupen und erwachsene Tiere regelrecht verschimmeln. Manche Schmetterlingsarten, die als Puppe überwintern, benötigen den Kältereiz sogar als Anstoß für ihre weitere Entwicklung. Dazu zählen etwa Schwalbenschwanz, Grünader-Weißling oder Landkärtchen. Ihre Raupen spinnen sich ein, wenn die Tage deutlich kürzer werden. Die zusätzliche Kälte signalisiert, dass der Winter kommt – und wieder geht. Bleibt es zu mild, fehlt dieser „Schalter“ und die Puppe verbleibt in ihrer Gestalt.
Der Moorfrosch (Rana arvalis) wiederum setzt sowohl auf frostsichere Verstecke als auch auf Frostschutzmittel. Bei Kälte verzieht er sich in Lücken und Löcher, wobei er auch verlassene Erdbauten und Grabgänge von Säugetieren nutzt. Zur Not gräbt er sich sein eigenes Loch in den Boden, so lange der noch weich ist. Zusätzlich kann auch er bei Bedarf Frostschutzmittel bilden – unter europäischen Fröschen eine einzigartige Eigenschaft. Glukose und Glyzerin verhindern sein Erfrieren, bis zu -16 Grad kann er dadurch ertragen.
Schicke Wintertracht
Man könnte sie für zwei völlig verschiedene Tiere halten, aber tatsächlich handelt es sich bei Großem Wiesel und Hermelin (Mustela erminea) um ein und dieselbe Art. Im Sommer trägt es einen braunen Pelz und weißen Bauch (Wiesel), im Winter dagegen wechselt sein Fell und wird mit Ausnahme der charakteristischen schwarzen Schwanzspitze komplett weiß (Hermelin). Eine perfekte Tarnung für den kleinen Jäger, um in der schneebedeckten Winterlandschaft auf die Jagd zu gehen und zugleich von seinen zahlreichen Fressfeinden aus der Luft wie dem Mäusebussard oder dem Uhu nicht so leicht erspäht zu werden. In Regionen, wo der Schnee ausbleibt und die Winter eher mild verlaufen, bleibt das Fell dagegen ganzjährig braun-weiß.
Ab in den Süden
Zahlreiche Vögel ziehen für den Winter gen Süden, weil es dort wärmer ist und die Landschaft mehr Nahrung bereithält. „Wärmer“ und „mehr Nahrung“ ist dabei relativ: Der Raubwürger (Lanius excubitor) etwa zählt zu den Vögeln, die aus dem noch kälteren Skandinavien im Winter zu uns kommen. Für Vogelfans ist das ein Glück: Denn in Mitteleuropa ist er als Brutvogel sehr selten geworden. Die Begegnung mit einem gastierenden Raubwürger ist dagegen wahrscheinlicher. „Man kann ihm jetzt zum Beispiel in Sielmanns Naturlandschaften Döberitzer Heide oder Kyritz-Ruppiner Heide begegnen, die er als Jagdgründe nutzt“, sagt Petrischak. Der Raubwürger jagt kleinere Tiere, zum Beispiel Mäuse.
Doch nicht nur Vögel ziehen über den Winter in wärmere Gefilde: Auch Wanderfalter wie der Admiral (Vanessa atalanta) fliegen im Herbst nach Südeuropa und kehren im Frühjahr zu uns zurück. Anders als bei Vögeln ist ihre Fortpflanzung jedoch nicht von einem Ort abhängig: Verpaarung, Eiablage und Schlupf finden sowohl bei uns als auch im Überwinterungsgebiet statt. „Angesichts des Klimawandels und der dadurch häufigeren milden Winter sparen sich viele Individuen mittlerweile die beschwerliche Reise“, sagt Petrischak.
Anders verhält es sich beim Distelfalter (Vanessa cardui): Der bricht ausnahmslos im Herbst gen Süden auf. Sein Ziel sind die Gebiete südlich der Sahara. Hier legen die Tiere Eier. Die daraus entstehende neue Generation von Faltern tritt dann im Frühjahr wieder die Reise nach Norden an. Von Höhenwinden getragen, kann ein einzelner Falter dabei bis zu 4.000 Kilometer zurücklegen – die weltweit längste Nonstop-Wanderung eines Insekts.
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