Student der Biodiversität und Vogelkundler Daniel Schmidt, der regelmäßig bei den Flächen an der Leine vorbeischaut, erinnert sich: „An einem späten Maivormittag geriet ein vergleichsweiser großer, regenpfeiferartiger Vogel in meinen Blick. Sein hellbraunes Gefieder in Kombination mit den großen gelben Augen ließ nur eine Diagnose zu: Triel!“ Schmidt ist überzeugt: „Mit Sicherheit war die Sichtung des Triels die erste für Stadt und Landkreis.“
Ein zukünftiger Brutvogel?
Dem Ornithologen Dr. Mathias Siebner gelang es, Fotos vom Triel zu machen. Siebner, der im Rahmen des Programms „Monitoring häufiger Brutvögel in Niedersachsen“ in diesem Sondergebiet Brutvögel erfasst, meinte zu dem außergewöhnlichen Motiv: „Bei dem Vogel handelt sich hier wohl eher um einen Ausnahmegast. Die Leineaue am Flüthewehr liegt eigentlich zu weit entfernt von den üblichen Zugrouten dieser Art.“ Langfristig hofft Siebner dennoch auf niedersächsischen Trielnachwuchs: „Da es sich immerhin um einen ehemaligen Brutvogel handelt, ist nicht auszuschließen, dass sich der Vogel irgendwann wieder im Norden ansiedelt.“
Die „Ochsennase“ und gefiederte Exoten
Erst letztes Jahr im Juli war die Biotoplandschaft am Flüthewehr offiziell vom Life-Science-Unternehmen Sartorius, der Stadt Göttingen, der Heinz Sielmann Stiftung gemeinsam mit anderen Kooperationspartnern wie dem Leineverband eingeweiht worden. Schon kurz darauf konnten erste Flussregenpfeifer (Charadrius dubius) in dem neuen Lebensraum gesichtet werden. Eine Art, deren Bestand in Niedersachsen merklich zurückgegangen ist.
Die „Ochsennase mit den dicken Knien“, wie der wissenschaftliche Name des Triels (Burhinus oedicnemus) übersetzt lautet, blieb nicht die einzige Vogelart, die den Puls von Vogelliebhabern schneller schlagen ließ. Neben bekannteren Gästen, wie Kampfläufer (Philomachus pugnax) und Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe), zeigten sich in der Leineaue am Flüthewehr auch mit Seidenreiher (Ardea alba) und Sichler (Plegadis falcinellus) vogelkundliche Besonderheiten. „Wahrscheinlich waren die Sichler auf der Flucht vor der Dürre in Südeuropa“, meint Schmidt und prognostiziert: „Die Klimakrise wird uns bestimmt zunehmend solche Exoten bescheren.“
Biotope als notwendige Rastplätze
Der Leiter des Geschäftsbereichs Biodiversität der Heinz Sielmann Stiftung, Dr. Heiko Schumacher, zeigte sich begeistert über die bisher mehr als 120 gezählten Vogelarten: „Über den Umfang der Liste an gesichteten und zum Teil gefährdeten, stark gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Arten freue ich mich sehr. Es zeigt, wie wichtig solche Biotopflächen in der Kulturlandschaft sind. Nicht nur für die in der Region brütenden Vögel, sondern auch für die Vögel, die bei ihren langen Wanderungen auf Rastmöglichkeiten angewiesen sind.“
Ehemaliger Acker als neuer Lebensraum
Siebner und Schmidt werden mit anderen Vogelinteressierten der Region weiterhin die Biotoplandschaft mit ihren Ferngläsern und Spektiven nach Vögeln absuchen, um die vorkommenden Arten fortlaufend zu dokumentieren. Letztendlich fließen die erhobenen Daten in wissenschaftliche und naturschutzfachliche Auswertungen ein.
Schumacher selbst verfolgt die Veränderungen in der Biotoplandschaft mit großem Interesse: „Da die Flächen an der Leine mit deren Auwald noch am Anfang einer Entwicklung stehen, wird es weiterhin spannend bleiben, welche Vögel, aber auch andere Tiere und Pflanzen, diesen neuen Lebensraum für sich entdecken.“
Die ehemaligen Ackerflächen waren für eine ökologische Aufwertung aufwändig umgestaltet worden. Das Gemeinschaftsprojekt von Sartorius, der Stadt und der Heinz Sielmann Stiftung beinhaltet auch die extensive Beweidung mit Zebu-Rindern, die auf Teilen der Flächen durch ihre Aktivitäten für eine strukturelle Vielfalt sorgen. Mittel- bis langfristig soll so ein artenreiches Biotop entstehen.